JESUSSE
Leseprobe:
KARDINAL BOBONI KRATZTE SICH. Was machten eigentlich andere
Männer gegen eingewachsene Barthaare? Seit Monaten juckte
sein Hals nun. Es war zum aus der Haut fahren. Er kratzte ein
letztes Mal extra fest, obwohl er wusste, dass er dafür
würde büßen müssen.
Dann lenkte er seine Gedanken auf die vor ihm liegende
Aufgabe. Was hatte sich die Kurie eigentlich dabei gedacht?
Er hatte eine böse Vorahnung, was dieses Projekt betraf.
Heikle Fälle waren, wie jeder wusste, sein Spezialgebiet
aber diese Geschichte hatte eindeutig einen bitteren
Beigeschmack.
Irgendetwas stimmte einfach nicht. Er hätte nicht sagen
können was und trotzdem hatte er das Gefühl, es lag ihm auf
der Zunge und in wenigen Momenten würde er wissen was es
war. Das Dumme war, dass sie ihm die Verantwortung
übertragen hatten und was sollte er schon dagegen tun?
Sollte er sich weigern? Dazu war die Sache andererseits auch
wieder zu interessant. Also versuchte er einfach, diese immer
wiederkehrende Schleife aus negativen Gedankenströmen aus
seinem Bewusstsein zu verdrängen und sich auf die
bevorstehende Aufgabe zu konzentrieren. Immerhin hatte das
päpstliche Sekretariat ihm und nur ihm, seiner Eminenz,
Kurienkardinal Bartolomeo Bonboni diese Aufgabe übertragen
und er würde sie, so vertrackt sie auch war, zur
Zufriedenheit aller Beteiligten lösen. Er fummelte an seinem
Kardinalsring herum und hob den Blick. Der Himmel erinnerte
ihn an einen ausgekippten Erstehilfekasten. Dutzende
parallele Kondensstreifen wie abgerollte Mullbinden
hinterlegten die Wattebäusche der Cumuluswolken. Es fehlten
nur Pflaster und Schere.
Bonboni überlegte in diesem Zusammenhang, ob er sich noch
schnell eine Salbe gegen den Juckreiz kaufen sollte,
verwarf den Gedanken aber wieder.
Die Büroräume der Kurienverwaltung waren in ganz Rom
verstreut. Die meisten lagen im Vatikan, doch dort konnte er
sein geheimes Treffen mit den Priestern nicht abhalten -
immerhin war im Vatikan nichts wirklich geheim. Jeder
versuchte, sich mit den entsprechenden Brocken von
Informationen eine Wirklichkeit zurechtzuzimmern, die zwar
der Wahrheit nie sehr nahe kam, aber wer war im Vatikan schon
an Wahrheitsfindung interessiert? In Zeiten der neu
entstehenden Simulationssekten und des BlueBongoKults
verschwamm ohnehin mehr und mehr die Grenze zwischen Wahrheit
und Wirklichkeit. Es ging um Macht. Es ging um Einfluss. Es
ging darum, einfachen Menschen eine einfache Botschaft zu
verkaufen und darum, sich gegen die zu verteidigen, die an
den Futtertrog drängten.
Genau das war das Einsatzgebiet Bonbonis: Die Verteidigung
der Einflussbereiche der katholischen Kirche gegen Mächte
von außen. Niemand konnte ihm auf dem Gebiet das Wasser
reichen. Er hatte eine Skrupellosigkeit erreicht, die einen
Bush, Putin oder Mugabe erröten lassen würde. Der Vatikan
war Bonbonis Festung und er würde notfalls auf brennendem
Öl, Folter und Scheiterhaufen zurückgreifen, wenn es denn
erforderlich wäre, dieses Bollwerk gegen den Feind zu
verteidigen.
Manchmal wünschte er sich, in früheren Zeiten geboren zu
sein, als die Dinge noch einfacher und die Päpste keine
Weicheier waren. Zeiten, in denen das Zölibat nur für die
unteren Chargen verpflichtend und die Macht der Herren im
Ornat unangefochten gewesen war. Seine Aufgabe in der
Verteidigungslinie des Vatikan, so alt wie die Säulen der
sixtinischen Kapelle selbst, hatte im Laufe der Zeit ihre
Handschlagqualität verloren. Durften ehemals Daumenschrauben
angesetzt werden, um Sachverhalte auf einfache und schnelle
Art zu klären, so mussten heute Hacker, die das Netzwerk der
Vatikanbank abstürzen ließen, formell vor Gericht zitiert
werden, um, vertreten durch Anwälte und unterstützt durch
einen Haufen nihilistischer User ohne jeden Glauben in
gottgewollte Hierarchie, mühsam zur Rechenschaft gezogen zu
werden. Irgendwann war irgendetwas schief gelaufen, keine
Frage. Warum nur hatten die Kirchenväter die Zügel aus der
Hand gegeben? Konnten hohe Würdenträger zur guten alten
Zeit hemmungslos die Puppen im kleinen Kreis tanzen lassen,
so mussten die Priester heute hinter zugezogenen Vorhängen
ihrem Vergnügen nachgehen und fürchten, dass ein
Schmierblatt den Knaben der Wahl vor die Kamera zerrt und ihn
mit Geschenken ködert, um ihm eine schlüpfrige Geschichte
abzuringen, in der es ganz offen um Oralsex, Dildos und
Einläufe mit Weihwasser ging.
Aus all diesen Gründen war auch die Arbeit Bonbonis im
Schattenreich angesiedelt. Die verdeckten Aktionen des
vatikanischen Geheimdienstes und seiner Handlanger waren dem
durchschnittlichen Gläubigen, der Maulaffen feilhielt, wenn
Franziskus am Balkon erschien, und der an das Gute im
Menschen glaubte, gänzlich unbekannt. Man konnte auch sagen,
der normale Gläubige von der Straße hätte es gar nicht
wissen wollen. Wollten denn die Amerikaner wissen, was
damals, am Elften Neunten, wirklich geschehen war? Einen
Dreck wollten die!
Bonboni hatte zwar ein Büro im Vatikan, er hielt sich aber
selten dort auf. Reine Vorsichtsmaßnahme! Seitdem
Überwachungsgeräte auf das Format von Stecknadelköpfen
geschrumpft waren, konnte man nie sicher sein, wer alles
mithörte.
Nein, er hatte entschieden, sich mit den Priestern auf
neutralem Boden zu treffen und so steuerte er nun die
Sakristei der Kirche Santa Maria in Cosmedin an der Piazza
Bocca della Verità an. Die Basilika gehört heute den
verrückten Melkiten, wie Bonboni für sich die Leute von der
katholischen Ostkirche nannte. Ursprünglich unter Papst
Hadrian auf den Resten eines Herkulestempels erbaut, bei
einer Invasion der Normannen verwüstet, später
barockisiert, dann romanisiert und schließlich der Jungfrau
Maria geweiht.
In der Vorhalle konnte man den so genannten Wahrheitsmund
bewundern, der zugleich das populärste Ausstellungsstück
der Kirche war. Es handelte sich um einen antiken Kanaldeckel
der Cloaca Maxima, der den Flussgott Triton zeigt. Die
Geschichte lief darauf hinaus, dass angeblich jeder, der die
Hand in den Mund schiebt und dabei nicht die Wahrheit sagt,
diese Hand verlieren würde und so konnte man täglich
Hunderte von jugendlichen männlichen Touristen dabei
beobachten, wie sie von ihren Freundinnen dazu genötigt
wurden, ihre Hand in Tritons Mund zu stecken und gleichzeitig
zu geloben, dass sie nur sie und keine andere lieben würden.
Da kam es schon mal vor, dass sich der eine oder andere
Tropfen Angstschweiß seinen Weg entlang der Schläfe eines
verschreckten Jungen bahnte, der einem ernsthaft
dreinblickenden Mädchen, das keine Ahnung vom Leben hatte,
seine Treue schwor.
Bonboni fand, dass dieser Symbolismus passte. Es ging bei
diesem Projekt - zumindest nach außen hin - um
Wahrheitsfindung und irgendwie hoffte er auf ganz und gar
unchristliche Weise, dass diejenigen, die als Frevler aus
dieser Geschichte hervorgehen würden, mehr als nur ihre Hand
verlieren würden.
Der Schlüssel zur Sakristei war so groß wie eine Forelle,
nur etwas schwerer. Trotzdem schnappte das Schloss ohne
weiteres auf und Bonboni betrat den kühlen Raum, der mit
liturgischen Gewändern, Hostienschalen, Kerzen, Büchern und
Paramenten vollgeräumt war. Einer der besonderen Zwecke von
Sakristeien war ja auch die Vorbereitung der Priester auf
ihre Aufgabe, ihre Verantwortung gegenüber den Gläubigen.
Auch hier wieder ein Symbolismus, der Bonboni gefiel. Denn
vorbereiten, zumindest mental, mussten sich die Priester auf
das, was auf sie zukommen würde.
Bonboni schloss die alte, schwere Tür und setzte sich an den
einfachen Tisch in der Mitte des Raumes. Erinnerungen krochen
von unbewussten in bewusste Regionen seines Gehirns,
Erinnerungen an seine Zeit als einfacher Priester, als er in
Räumen wie diesem nervös darauf gewartet hatte, dass die
Kirche sich füllte und nur das hatte für ihn gezählt.
Volle Sitzreihen. Er hatte es stets als persönliches
Versagen empfunden, wenn seine Schäfchen nicht dicht an
dicht seiner Predigt lauschten - in diesem Sinne war er
Perfektionist gewesen. Das war er wohl auch jetzt noch, nur
hatte die Zeit bereits lange Schatten über seinen
jugendlichen Idealismus geworfen und heute war seine Berufung
für ihn mehr Pflicht als Ideal. Mit einem lauten Gähnen
versuchte er, diese Erinnerungen in die unbewussten
Hirnareale zurückzuschieben. Dem Gähnen folgte ein Furz und
das Erschrecken darüber, dass er gerade die Sakristei
vollstank. Was, wenn just in diesem Moment einer der Priester
den Raum betrat.
Er sprang auf und riss die Tür auf. Leider regte sich kein
Windhauch. Er dachte an die Cloaca Maxima. Und natürlich
erinnerte er sich an die letzte Sitzung der internationalen
Theologenkommision am vergangenen Dienstag. Warum konnte man
die Dinge nicht einfach belassen, wie sie waren? Die
katholische Kirche war über Jahrhunderte gut ohne solche
Projekte gefahren, warum also jetzt plötzlich diese Panik?
Aber er wusste die Antwort: Das Internet war schuld daran.
Früher hätte man sich mit solchen Fragen gar nicht erst
beschäftigt. Kein Hahn hätte danach gekräht, ob … er
roch noch einmal extra stark, so dass seine Nasenhaare die
Schleimhaut seines Riechorgans kitzelten. Der Gestank hatte
sich noch immer nicht verflüchtigt. Was hatte er eigentlich
gegessen? Er streckte sich hoch zu einem winzigen Fenster,
brach jedoch beim Versuch, dieses zu öffnen, den barocken
Verschluss ab und stand nun etwas verunsichert mit dem Griff
in der Hand da, als er Schritte hörte.
»Eure Eminenz, es ist mir eine Ehre ...«
Kaum einen Augenschlag später stürzte ihm ein junger
Priester entgegen, der ihm sogleich kniend seinen
Kardinalsring küsste. Bonboni berührte ihn an der Schulter,
was einerseits als Segnung, andererseits aber auch als
Aufforderung zum Aufstehen verstanden werden konnte.
Bonboni hatte es schon immer tuntig gefunden, wenn Männer
sich gegenseitig die Hände küssten. Mit den jungen, den
ganz jungen, da war das schon was anderes. Ein schwacher
Impuls seiner Libido projizierte die entsprechenden Bilder
auf die Leinwand seiner Phantasie und er musste an das
vergangene Wochenende denken. Er verscheuchte diesen Gedanken
jedoch sofort, als der zweite und der dritte Priester in die
Sakristei eintraten und das Knie-Kuss-Ritual absolvierten.
Verlegen standen alle im Kreis. Die Priester waren nicht oft
in Gesellschaft von Kardinälen und Bonboni war schon gar nie
alleine in Gesellschaft mit einer Runde von gewöhnlichen
Priestern.
Wie auch immer, er musste die Initiative ergreifen.
»Signori, setzen sie sich doch bitte. Sie kennen sich noch
nicht. Darf ich vorstellen: Pater Morgenschweiß aus Köln,
Prêtre Langlois aus Avignon und Padre Moratti aus Mailand.
Verzeihen Sie die ungewöhnlichen Umstände, ich werde ihnen
sogleich erklären, warum wir uns an diesem Ort treffen und
vor allem, warum sie mich hier alleine antreffen.«
Er hob bedeutungsvoll seinen Kopf und fummelte nochmals an
seinem Ring.
»Doch vorher muss ich sie bitten zu schwören, dass alles,
was in diesem Raum besprochen wird, unter uns bleibt.«
Alle drei hoben die rechte Hand. Morgenschweiß schwor auf
Deutsch, Moratti stellte sein Latein auf die Probe, Langlois
schwor auf Französisch. Bonboni nickte kurz mit dem Kopf.
Es widerte ihn an.
Er war von der Kommission verpflichtet worden, den Priestern
diesen Schwur abzunehmen und gleichzeitig war ihm klar, dass
man diese Geschichte nie und nimmer würde geheim halten
können. Und genau das war der wunde Punkt an der Sache.
Irgendjemand würde früher oder später plaudern und was
dann? Nein, es konnte nicht gut gehen.
»Also gut, ich komme gleich zur Sache. Patres, sie werden
verreisen. Jeder von ihnen hat einen äußerst wichtigen
Auftrag zu erfüllen, von dem vielleicht der Fortbestand der
heiligen Mutter Kirche abhängt.«
Zugegeben, er pflegte einen Hang zur Dramatik und es
entsprach sicher nicht den Tatsachen, was er hier zum Besten
gab. Trotzdem würde er deswegen nicht schlechter schlafen
als sonst. Ganz im Gegenteil. Er legte noch ein Schäuflein
nach.
»Und nicht nur der Fortbestand unserer heiligen Mutter
Kirche. Vielleicht auch der Ausgang des jüngsten Gerichts.«
Wenn die Priester vorher die Augen aufgerissen hatten, so
begannen ihnen jetzt die Pupillen auszutrocknen, da sie wie
versteinert den Kardinal anstarrten. Bonboni liebte es,
Menschen zu verunsichern. Und schon gar, wenn es so weit
ging, dass jungen Priestern der Schweiß in Strömen hinter
den Collarkragen sickerte.
Moratti fing sich als Erster. Er hatte einen knallroten Kopf,
da er völlig auf das Atmen vergessen hatte.
»Eure Eminenz erlauben sich doch hoffentlich keinen Scherz
mit uns?«
Wie zur Bestätigung nickten die beiden anderen synchron mit
den Köpfen. Sie erinnerten an Spielzeughunde mit gelenkig
gelagerten Köpfen auf der Ablage mancher Autos.
»Padres, es war mir nie ernster«, log Bonboni. Er wollte
die Situation noch ein bisschen auskosten und überlegte, ob
er nicht noch etwas mehr Pathos ins Spiel bringen sollte.
»Sie, Signori, nehmen eine Mittlerrolle zwischen Gott und
den Menschen ein und der Auftrag, der ihnen bevorsteht, wird
ihren rechten Glauben auf die Probe stellen, soviel ist
sicher.«
Hier war eine kurze dramaturgische Pause angebracht, die der
Kardinal nutzte, um die Ereignisse des letzten Wochenendes
Revue passieren zu lassen. Das herrliche Machtgefühl,
nachdem er seinem Laster gefrönt hatte, war durch nichts zu
ersetzen.
»Signori, die Kurie und die Theologenkommission haben mich
mit einem schwierigen Fall beauftragt und ich habe sie
aufgrund ihrer Sprachkenntnisse ausgewählt, ihren Beitrag an
diesem Fall zu leisten. Wie sie vielleicht wissen, gibt es
zur Zeit unzählige Personen auf diesem Planeten, die
vorgeben, der Sohn Gottes zu sein, aber nur einige wenige von
ihnen haben eine beträchtliche Anhängerschaft um sich
versammelt. Nicht alle von ihnen behaupten jedoch, Christus
zu sein. Bei einigen sind es ihre Anhänger, die diese
Botschaft in Umlauf bringen. Sie werden nun inkognito vor Ort
feststellen, was es mit diesen Gerüchten auf sich hat. Sie
werden jedoch nicht erfahren, wohin die jeweils anderen
reisen und sie werden ausschließlich mir Bericht
erstatten.«
Es war wiederum Moratti, der die Frage stellte:
»Eure Eminenz, bezüglich eurer Anspielungen auf den
Fortbestand der heiligen Mutter Kirche und des Ausgangs des
jüngsten Gerichts-«
Der Kardinal unterbrach Moratti. Wenn er etwas hasste, dann
war das, unterbrochen zu werden.
»Padre, wenn sie nichts dagegen haben, würde ich gerne mit
meinem Vortrag fortfahren … nun, die heilige Mutter Kirche
steht vor gewaltigen Entscheidungen. Nie zuvor gab es so
viele Heilande mit solch großer Anhängerschaft… «
Nun kam der schwierige Teil. Er wollte es eigentlich nicht
aussprechen, aber was blieb ihm anderes übrig?
»…sodass wir uns fragen müssen, ob der Sohn Gottes
möglicherweise wie seinerzeit angekündigt bereits
zurückgekehrt ist.«
Bonboni hob seine Hände zur Brust und faltete sie wie im
Gebet. Die Priester bekreuzigten sich, alle drei wurden blass
um die Nasenspitze.
»…zumal im Zusammenhang mit diesen selbsternannten
Heilanden des Öfteren von Wundern die Rede ist, muss der
heilige Stuhl unbedingt wissen, ob der Heiland zurückgekehrt
ist. Das Schlimmste für die katholische Kirche wäre, wenn
wir das als Letzte erfahren würden. Sie können sich
vorstellen, wie wir in dem Fall dastehen würden.«
Jetzt war es raus. Bonboni fühlte sich beschmutzt und wäre
am liebsten davongelaufen. Eigentlich gab es nichts mehr zu
sagen.
Pater Morgenschweiß quollen die Augen aus dem Kopf. Er
erinnerte Bonboni an eine Lemure.
»Wie viele selbst ernannte Heilande gibt es denn?«
»Wenn sich das nur in Zahlen ausdrücken ließe. Allein in
der psychiatrischen Notaufnahme des Kfar-Shaul-Spitals von
Jerusalem werden zurzeit siebzehn Jesusse und sieben Marias
stationär behandelt. Bei der letzten Präsidentenwahl in den
USA wurden über sechshundert Wahlkampfspenden von Jesussen
verzeichnet. Wir haben uns also lediglich auf diejenigen
Fälle konzentriert, wo es dem vorgeblichen Heiland gelang,
eine große Anhängerschaft um sich zu versammeln. Das gelang
bisher … siebenundzwanzig…«
Synchron atmeten die Priester aus, als wollten sie gemeinsam
eine Geburtstagstorte ausblasen.
»…jedoch nur wenige kommen in die engere Wahl. Die
Kommission hat sich nach langen Beratungen auf drei
Kandidaten geeinigt. Im Zusammenhang mit dem Wirken dieser
Personen wird immer wieder von Wundern berichtet. Ich werde
jetzt nicht verlautbaren, wer ausgewählt wurde, da sie nur
von dem Kandidaten erfahren werden, dem sie zugeteilt wurden.
Alles andere hat sie nicht zu interessieren.«
Er griff in seine Tasche und zog drei Kuverts heraus. Er
reichte jedem einen Umschlag. Bonboni war mit der Auswahl
ganz und gar nicht einverstanden gewesen. Jeder der
ausgewählten Heilande hatte sich mit Popstar-Allüren zu dem
gemausert, was er heute war. Er, Bonboni, hätte eher auf die
ruhigen, unscheinbaren Selbsternannten gesetzt, das heißt,
die Abstimmung der Kommission war nicht gerade in seinem
Sinne verlaufen.
»Sie dürfen nun gehen, Signori. Möge Gott ihnen beistehen.
Ich muss hoffentlich nicht extra betonen, dass sie sich nicht
austauschen dürfen. Ihr jeweiliger Auftrag ist streng geheim
und ein Verstoß gegen die Geheimhaltungspflicht hätte
sofortige Exkommunikation zur Folge. Die Details zu ihrem
jeweiligen Auftrag finden sie in den Unterlagen.«
Er blickte den Priestern einschüchternd in die Augen.
»Verstehen wir uns?«
Sie verstanden sich.
Morgenschweiß und Moratti standen auf, absolvierten das
Knie-Kuss-Ritual und wandten sich der Tür zu. Sie wussten
nicht, ob sie nun gehen sollten. Da Bonboni ihnen jedoch den
Rücken zuwandte, verließen sie die Sakristei. Die
Exkommunikation vor Augen, hatte niemand Lust auf Fragen oder
Erklärungen und so verbeugten sie sich lediglich wortlos und
gingen ihrer Wege.
Bonboni trat ans Fenster, nahm den abgebrochenen Griff und
warf ihn in den Papierkorb. Giuseppe Sardi, Barockarchitekt
und Autodidakt, hatte ihn 1718 entworfen und nun ging er den
Weg alles Irdischen.
Bonboni musste an Buddha denken, als er sich wider besseres
Wissen am Hals kratzte, wodurch das Jucken nur noch schlimmer
wurde.
Er war sich sicher, der Buddha hätte sich erst gar nicht
gekratzt